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GrafikNatürliche Schadstoffminderung bei sprengstofftypischen Verbindungen, Annette Joos
IABG mbH
Alt Moabit 94, 10559 Berlin
Natürliche Schadstoffminderungsprozesse (NA) wirken als Standortgegebenheit ohne das Zutun des Menschen. Sie tragen dazu bei, dass manche Folgen menschlichen Handelns abgeschwächt oder auch ganz behoben werden können. Es bestehen noch Wissenslücken hinsichtlich Intensität, Dauer und Zuverlässigkeit dieser Wirkungen, so dass berechenbaren technischen Maßnahmen zur Schadstoffminderung oftmals der Vorzug gegeben wird, um sicher zu handeln.

Die neuesten wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen zur NA der STV stehen stellvertretend für eine Vielzahl von mit dem Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) und seinen Folgeprodukten sowie zum Teil auch mit Hexogen (RDX) belasteten Flächen in Deutschland und sind in einem Leitfaden veröffentlicht (Joos et al. 2008).

Über die künftig bessere Berücksichtigung von NA-Prozessen bei Maßnahmen der Gefahrenbewertung, der Altlastensanierung sowie der Nachsorge auf Rüstungsaltlastenstandorten findet zwischenzeitlich eine breite gesellschaftliche und fachliche Diskussion statt. Mit der Erforschung der NA der STV und der Zusammenfassung der Erkenntnisse im Leitfaden wurde ein großer Beitrag dazu geleistet, bei der Sanierung von Rüstungsaltlastenstandorten auch die Nutzung von Schadstoffminderungsprozessen zu unterstützen und Anregungen zur Vorgehensweise sowie mehr Sicherheit bei der Beurteilung dieser Prozess zu geben.

Prinzipiell wird der Umgang mit den durch Altlasten belasteten Standorten in der Bundesrepublik Deutschland durch das Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) und Bundesbodenschutzverordnung (BBodSchV) geregelt. Die Problematik des Umganges mit STV auf ehemaligen Rüstungsaltlastenstandorten und militärischen Liegenschaften weist auch eigene Spezifika auf und wird in Deutschland erst seit den 80er Jahren intensiver bearbeitet.

Das TNT, seine Zwischen- und Nebenprodukte der Produktion sowie die durch Transformation entstandenen, zumeist aromatischen Nitroverbindungen, werden unter dem Begriff sprengstofftypische Verbindungen zusammengefasst. Durch NA-Prozesse wie chemische, photolytische und mikrobielle Transformation im Boden und in der wassergesättigten Zone sind aus diesen weitere Sekundärsubstanzen (Transformationsprodukte) entstanden, so dass heute oftmals in Wasser- und Bodenproben auf Rüstungsaltlastenstandorten ein umfangreiches Schadstoffinventar gefunden wird.

Die polaren STV sind im Hinblick auf die Untersuchung von NA-Prozessen wichtig, da sie sowohl als Nebenprodukt der Produktion (Nitrotuluolsulfonsäuren und teilweise Nitrotoluolbenzoesäuren) als auch als Transformationsprodukte vorkommen. Wegen ihrer hohen Mobilität im Wasser stellen diese polaren STV, als Bestandteil des Gesamtspektrums der STV, eine potentielle Gefahr für das abstromige Grundwasser dar.

Wegen des fließenden Überganges von den sogenannten „unpolaren“ zu polaren Verbindungen, ist eine wissenschaftlich eindeutige Definition polarer STV schwierig. Die Definition orientiert sich an der Extrahierbarkeit mit Dichlormethan aus der wässrigen Phase.
Als ein wichtiges Instrument zur qualitativen Bestimmung des Schadstoffinventars im Wasser wird ein Screening auf sogenannte unpolare und polare STV empfohlen. Für die quantitative Bestimmung der polaren STV in Boden und wasser wird die im TV 5 neu erarbeitete HPLC-DAD Methode empfohlen.

Es wurden zwölf Leitverbindungen vorgeschlagen, deren Auswahl sich an den Konzentrationen, der Häufigkeit ihres Auftretens an den untersuchten Standorten und, soweit bekannt, an toxikologischen Daten orientierte. Aufgrund der Standortabhängigkeit des Schadstoffspektrums, das bei STV durch die vorherrschenden Sorptionsbedingungen und Transformationsreaktionen bestimmt wird, empfiehlt es sich, diese 12 polaren Leitsubstanzen mit den Erkenntnissen aus dem Screening des jeweiligen Standortes zu vergleichen und ggf. anzupassen.

Während ihres Transportes mit dem Sicker- und Grundwasser sind für STV sehr unterschiedliche Rückhaltezeiten einzelner STV spezifisch. Zunehmendes Dipolmoment der Tri-, Di- und Mononitrotoluole sowie abnehmender Nitrierungsgrad der Nitrotoluole verringern ihre Sorption, damit ihre Retardation in den gesättigten Bodenhorizonten. Ein zunehmend polarer Charakter der STV (Aminonitrotoluole, Nitrophenole, Nitrobenzylalkohole etc.) erhöht die Wasserlöslichkeit. Die hydrophileren STV gelangen damit (stark) beschleunigt in das Grundwasser. Bei hoch polaren STV (Nitrotoluolsulfonsäuren, Nitrobenzoesäuren) dominiert der ionische Charakter die molekulare Eigenschaft der Stoffe. Ihre Mobilität im Grundwasser ist damit sehr hoch.

Im Oberboden werden TNT und Nebenprodukte mikrobiell transformiert, wobei sowohl Reduktion als auch Oxidation parallel ablaufen. Steht die organische Bodenmatrix als Reaktionspartner zur Verfügung, werden die reduzierten Amino- und Diaminotoluole festgelegt, d. h. in die organische Bodenmatrix eingebunden. Sie ist damit ein wichtiger Parameter zur Einschätzung des Schadstoffminderungspotentials.

In Böden mit geringen Corg-Gehalten treten vorrangig Transport und Elution auf, wobei die Polarität der Verbindungen mit ihrer Mobilität einhergeht. Letztlich sind die Elution mit dem Sickerwasser aus dem Oberboden und der Transport abhängig von der Wasserlöslichkeit und Bindungsfähigkeit der entstandenen Metabolite an die Bodenmatrix.

Bei hoch polaren STV (Nitrotoluolsulfonsäuren, Nitrobenzoesäuren) dominiert der ionische Charakter die molekulare Eigenschaft der Stoffe. Sie werden, da sie sehr gut wasserlöslich und damit mobil sind, mit dem Sickerwasser in das Grundwasser und – je nach Standortgegebenheiten – in Oberflächengewässer verstärkt ausgetragen. Die mikrobielle Transformation im Grundwasser kann nur dann ablaufen, wenn der TOC die für die cometabolische Transformation erforderlichen Reaktionsäquivalente liefert.

Die photochemische Transformation des TNT im Oberflächenwasser verläuft sehr schnell im Vergleich zur mikrobiellen Transformation. Die reduktive Transformation verläuft, obwohl aerobe Bedingungen vorherrschen, verhältnismäßig langsam ab. Daher findet man neben TNT die entstandenen Hauptprodukte 2-A-4,6-DNBS (geringe ökotoxikologische Wirkung), Azoxyverbindungen und weitere Verbindungen in geringen Mengen, unter anderem TNB, das aber aufgrund seiner stark toxischen Eigenschaften zu beachten ist.

Das Stoffspektrum im Sicker-, Oberflächen- und Grundwasser gibt erste verlässliche Hinweise, ob und in welchem Ausmaß Transformationsprozesse in der wasserungesättigten Bodenzone und im Grundwasser ablaufen. Werden überwiegend Syntheseprodukte und Synthesezwischenprodukte der TNT-Produktion ausgetragen, so finden NA-Prozesse – wenn überhaupt – nur in geringem Maße statt. Werden hingegen überwiegend Transformationsprodukte detektiert, so deutet dies auf aktive Bereiche im Boden und/oder Grundwasser hin.

Durch die Störung des Bodengefüges wird die Verfügbarkeit von TNT erhöht und die Transformationsprozesse intensiviert. Signifikant für den gestörten Bodenkern ist zudem, dass die Transformationsprodukte in einer größeren Menge als TNT im Boden vorliegen.

Aus den Erkenntnissen zum Prozessverständnis der polaren und unpolaren STV in den verschiedenen Medien wurden die wichtigsten Aspekte herausgearbeitet, die bei der Beurteilung der von den Behörden formulierten Kriterien zur Anwendung eines MNA-Konzeptes auf Rüstungsaltlastenstandorten berücksichtigt werden sollten. Damit wird auch die Grundlage für neue konzeptionelle Ansätze zur angemessenen Einbindung von natürlichen Schadstoffminderungsprozessen in die Sanierungspraxis geschaffen und eine Anbindung an das in der Praxis übliche Vorgehen ermöglicht.

Die Sanierung einer Rüstungsaltlast ist rechtlich nicht anders zu behandeln als andere Altlasten. Insofern sind dieselben rechtlichen Voraussetzungen und Grundlagen anzuwenden. Eine Ausnahme bildet die Auswahl des Sanierungspflichtigen. Dies gilt auch für die Nutzung von NA-Prozessen. Ob und inwieweit die natürliche Schadstoffminderung an einem Standort im Rahmen einer Sanierung berücksichtigt werden kann, ist ein umstrittenes und rechtlich noch nicht abschließend geklärtes Thema. Die stoffspezifischen Forschungen des TV5 haben auch gezeigt, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse neue rechtliche Aspekte berühren, die sich auch in der Berücksichtigung neuer Konzeptioneller Ansätze in künftigen Sanierungsuntersuchungen und - planungen niederschlagen können.